Kolumne

Der frühe Vogel

Juli 17, 2021

Kolumne von Pilar Hammerl

Was haben der Dalai Lama, Madonna, Jennifer Aniston und die Gründer von Twitter gemeinsam? Man würde sie zweifellos als erfolgreich oder berühmt bezeichnen. Aber darauf möchte ich nicht hinaus. Sie alle stehen früh auf, wenn andere noch schlafen, um zu meditieren, Yoga zu praktizieren oder den Tag mit einem Fitnessprogramm zu beginnen. Heutzutage wird dies oft als „produktive Morgenroutine“ bezeichnet. Meine Großmutter nennt es einfach „Morgenstund hat Gold im Mund“ oder „der frühe Vogel fängt den Wurm“.

Als ich vor über einem Jahr begann, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, bemerkte ich recht schnell, dass meine „Morgenroutine“ vielleicht nicht die produktivste ist. Denn ich startete lange Zeit meinen Tag mit dem Handy in der einen und dem Kaffee in der anderen Hand. Ich checkte, was über Nacht auf der Welt passiert ist, las meine verpassten WhatsApp-Nachrichten, antwortete auf die ersten E-Mails und verteilte Likes an wildfremde Menschen auf Instagram.

Nicht selten fühlte ich mich danach alles andere als fit oder gut. Vielmehr war ich schon morgens unruhig. Denn ich hatte bereits in den ersten Minuten meines Tages das Gefühl, auf sämtliche Ereignisse reagieren zu müssen. Ich war nicht bei mir, sondern lies mich direkt von äußeren Umständen berieseln.

Exkurs Smombiekalypse

Und scheinbar war ich mit meinem unproduktiven Start in den Tag nicht alleine. Eine Umfrage von Deloitte zeigt, dass knapp die Hälfte aller Deutschen schon in den ersten 15 Minuten nach dem Aufstehen den ersten Blick auf das Smartphone wirft. Die Folgen? „Smombiekalypse“. So witzelt die Welt online und spielt auf die Wortschöpfung zwischen Smartphone und Zombie an. Das Jugendwort 2015 veranschaulicht die ganze Problematik ziemlich bildhaft. Denn sobald man die Nachteile von übermäßiger Smartphone-Benutzung recherchiert, stößt man auf eine lange Liste negativer Effekte, die uns wirklich in einen zombieartigen Zustand befördern können. Schlafprobleme, Konzentrationsschwäche und Schwierigkeiten bei Problemlösungen oder der Entscheidungsfindung sind nur einige davon.

Für mich war schnell klar, dass mein Handy fortan mindestens eine halbe Stunde nach dem Aufstehen im Flugzeugmodus bleiben wird. Das war der Start für meine Suche nach einer produktiveren Morgenroutine. Meine Reise begann natürlich im Netz. Ich überflog einige Artikel und Meinungen zu dem Thema, lauschte diversen Podcasts und hielt schlussendlich das Buch „The 5am Club von Robin Sharma in den Händen. Die Unterzeile: „Gestalte deinen Morgen und in deinem Leben wird alles möglich“!

Willkommen im 5am Club

Unterhaltsam in eine Jetset-Geschichte verpackt, zeigt Sharma auf, warum die ersten Stunden am Tag so wichtig sind. Seine entwickelte Morgenroutine empfiehlt ein Programm, das sich aus 20 Minuten Sport, 20 Minuten Reflektion und Visualisierung der eigenen Ziele und 20 Minuten aus Weiterbildung, in Form von neuen Podcasts, Zeitungen oder Büchern besteht. Sharma ist davon überzeugt, dass die „heilige Stunde“ zwischen 5 und 6 Uhr morgens der Schlüssel zum Erfolg ist. In diesem Zeitfenster hätten wir den besten Fokus, die größte Willenskraft und die meiste Energie, so der Bestsellerautor.  

Zugegeben um fünf Uhr morgens aufzustehen, obwohl ich normalerweise erst zwischen acht und neun Uhr ins Büro gehe, stellte ich mir alles andere als energiespendend vor – und das, obwohl ich eigentlich ein totaler Morgenmensch bin. Dennoch wollte ich das Experiment aus Neugier wagen. Also klingelte der Wecker um exakt fünf Uhr morgens. Zugegeben, die Uhrzeit hatte was. Alles war so ruhig. Alles schlief. Nur ich nicht. Denn ich war bereits aktiv.

Stolz, aber müde wackelte ich auf meine Yogamatte und versuchte 20 Minuten in Bewegung zu bleiben. Ich bin sicher, mein „herabschauender Hund“ sah schon mal professioneller aus. Danach setzte ich mich an meinen Tisch und kritzelte mit einem Kuli meine kurzfristigen und langfristigen Ziele in ein Notizbuch. Getreu dem Schema 20-20-20 meldete ich mich nach meiner Journaling-Runde bei Blinklist an und begann nach Sachbüchern zu suchen, die mich interessierten. Dann war es endlich sechs Uhr und ich fühlte mich erleichtert, denn ich hatte die erste To-Do-Liste des Tages erfolgreich abgearbeitet.

Nach vier Tagen als Member im „5am Club“ stellte ich mir die Frage, ob das wirklich der Sinn und Zweck der Sache sei? Die Aufgaben an für sich waren nicht das Problem. Aber alles fühlte sich so durchgetaktet an. Wollte ich direkt am Morgen schon die erste To-Do-Liste abarbeiten? Ich entschied mich dagegen und beendete meine Mitgliedschaft im Club der „extremen Frühaufsteher“.

Seitdem sind knapp eineinhalb Jahre vergangen und ich habe mittlerweile meine ganz eigene Morgenroutine – wenn man das so nennen kann – gefunden. Sie variiert von Zeit zu Zeit, denn ich mache genau das, wonach ich mich fühle. An manchen Tagen springe ich auf meine Yogamatte und mache ein kurzes Workout, manchmal meditiere ich und manchmal bleibe ich auch einfach länger im Bett liegen und denke daran, was ich mir für heute alles vornehme. Das Handy bleibt allerdings in allen Fällen aus. Denn das hat für mich den Unterschied gemacht. Ich bin nicht mehr aufs Reagieren gepolt, sondern auf aktives Entscheiden. Meine Gedanken drehen sich nicht mehr direkt um andere, sondern um mich.

Hätte mir jemand vor einem Jahr gesagt, dass ich warmes Zitronenwasser anstelle von Kaffee trinke und den Tag nicht mit meinem Handy in der Hand an meinem Schreibtisch starte, sondern in Bewegung, ich hätte es nicht geglaubt. Aber Gewohnheiten lassen sich leicht ändern. Man muss sich nur dafür entscheiden und einfach starten.

Wer also gerne morgens fitter und energiegeladener in den Tag starten möchte, sollte damit beginnen, seine eigene Morgenroutine zu reflektieren und sich zu hinterfragen: „Was davon tut mir wirklich gut und was für ein Mensch möchte ich sein?“ Seid dabei ehrlich zu Euch selbst und findet dann eure ganz eigene Routine. Denn vor lauter tollen Ratschlägen und How-To’s, vergessen manche worum es wirklich geht: um den eigenen Lebensstil. Und dieser lässt sich nicht verallgemeinern. Nicht jeder möchte seine morgendlichen Gewohnheiten bis ins letzte Detail durchtakten und optimieren. Und das ist auch völlig okay. Stattdessen sollte jeder für sich rausfinden, wie er in den Tag starten möchte. Und das darf ganz entspannt passieren, ohne dass wir uns in irgendwelche Routinen prügeln lassen.

In diesem Sinne: Einen wunderschönen guten Morgen! Wünscht ihn euch nicht nur, sondern habt ihn einfach!

Du bist auf der Suche nach Ideen und Anregungen, wie Du deinen Tag aktiver beginnen kannst? Wir haben ein paar Anregungen und Ideen zusammengestellt, die Dir dabei helfen sollen, Deine ganz persönliche Morgenroutine zu finden. Zum Beitrag geht es hier entlang.

Das könnte Dir auch gefallen

Keine Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar