Kolumne: von Pilar Hammerl
Es gab eine Zeit, da war Ernährung einfach: Man hatte Hunger, man hat gegessen. Heute scrollt man durch Instagram und fragt sich, ob man überhaupt noch irgendwas essen darf.
Erst war es der Glukosetrend. Der Blutzuckerspiegel wurde behandelt wie der Aktienkurs – ständig in der Überwachung, bloß keine Kurve nach oben. Hafermilch im Cappuccino? Ein kapitaler Fehler. Obst am Morgen? Fast schon Rebellion.
Dann kam der Protein-Hype. Plötzlich galt: Je mehr Gramm auf der Packung, desto gesünder. Schade nur, dass die Zutatenlisten vieler Proteinriegel und -shakes mehr an ein Chemielabor erinnern als an etwas, das ich guten Gewissens in meinen Körper lassen möchte. Künstliche Aromen, Süßstoffe, Emulgatoren – alles für die Proteinzahl.
Und jetzt? Jetzt sind wir plötzlich alle „darmfreundlich“ unterwegs. Oder besser gesagt: Wir sollen es sein.
Was genau das bedeutet, bleibt aber offen. Es wird selten definiert. Stattdessen wird fleißig gepostet, empfohlen, konsumiert. Profitieren tun vor allem Produkte wie Kimchi und Kefir – Mikroben zum Mitnehmen, hübsch verpackt im Superfood-Gewand.
Natürlich kann Kimchi das Mikrobiom stärken. Aber bei Histaminintoleranz kann es auch zu Beschwerden führen.
Natürlich enthält Kefir Probiotika. Aber er basiert auf Kuhmilch – und das ist für viele Menschen nicht nur moralisch, sondern auch gesundheitlich problematisch: Milchprodukte können die Verdauung belasten und entzündungsfördernd wirken. Das ist keine Verteufelung, sondern eine Einladung zur Differenzierung.
Darmfreundlich ist nämlich nichts, was sich auf ein Etikett drucken lässt. Darmfreundlich bedeutet: auf die persönlichen Bedürfnisse deines Körpers zu achten. Vielleicht brauchst du heute präbiotische Ballaststoffe, vielleicht morgen Ruhe, vielleicht übermorgen ein bisschen weniger Kaffee und ein bisschen mehr Schlaf. Und vielleicht – auch das – einfach mal einen Hafermilch-Cappuccino. Ohne schlechtes Gewissen.
Ich bin Ernährungsberaterin für vegane Kost und Geschäftsführerin von Tante Fine, einer Gewürzmanufaktur, die achtsam mit Ressourcen umgeht und sich für ganzheitliche Gesundheit einsetzt. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren – beruflich wie privat – mit gesunder Ernährung. Und trotzdem: Selbst ich ertappe mich immer wieder dabei, wie mich diese Trends stressen. Wie ich mich frage, ob ich genug tue. Ob ich „gesund genug“ esse. Ob ich vielleicht doch den Darm vernachlässige. Und das, obwohl ich es eigentlich besser weiß. Denn gesunde Ernährung ist für mich kein Filtereffekt, kein „Hack“, kein Supermarktstunt. Gesunde Ernährung beginnt mit einer Frage: Was tut mir heute gut?
Denn gesunde Ernährung sollte nicht unter Druck setzen. Sie ist keine Disziplin, sondern ein Dialog mit dem eigenen Körper. Ein individueller Prozess, der täglich neu verhandelt wird zwischen Körper, Seele, Alltag und Appetit.
Wir müssen wieder lernen, auf uns selbst zu hören. Nicht auf den Algorithmus. Nicht auf den neuesten Ernährungshype.
Ich finde: Weniger Selbstoptimierung, mehr Selbstfürsorge. Weniger Scrollen, mehr Spüren.
Denn der klügste Trend von allen ist keiner, den man posten kann:
Es ist der, bei dem du dir selbst wieder zuhörst.
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